Knut Gerschau

Europawahl richtungsweisend für Mittelstand und Entwicklungspolitik

Selten war die Bedeutung einer Europawahl größer als in diesem Jahr. Wir alle sind aufgerufen, durch die Wahl zu einem friedlichen, freien und modernen Europa beizutragen, das von den Bürgerinnen und Bürgern nicht als Belastung, sondern als Bereicherung empfunden wird. Angesichts der international angespannten Situation und der krisenhaften Wirtschaftslage ist ein einiges Europa als prägender Teilnehmer globaler Politik unverzichtbar.

Für mich sind bei der Europawahl zwei Aspekte besonders wichtig: die Mittelstandspolitik und die Entwicklungszusammenarbeit auf EU-Ebene.

Die Stärke der europäischen Wirtschaft liegt im engagierten und nachhaltigen Handeln Tausender mittelständischer Betriebe und Kleinunternehmen. Ein freier Waren- und Personenverkehr, ein effektiver Kapitalmarkt und die Stärkung neuer Unternehmen können aber nur funktionieren, wenn bestehende Hindernisse und bürokratische Hürden abgebaut werden. Die europäische Wirtschaft ist mittlerweile in allen Bereichen überreguliert. Bürokratie fesselt mittelständische Betriebe. Regeln greifen in fast jeden Bereich des täglichen Lebens ein. Bei der Entbürokratisierung geht es nicht voran. EU-Kommissionschefin von der Leyen hatte vor über einem Jahr zugesagt, die Berichtspflichten der Unternehmen um 25 Prozent zu reduzieren. Bis heute weiß die zuständige Behörde nicht einmal, wie viele solcher Pflichten es überhaupt gibt. Und ständig kommen neue dazu: zuletzt durch die EU-Lieferkettenrechtlinie. Sie geht weit über die deutsche Regelung hinaus und bürdet dem Mittelstand eine Verantwortung auf, die Kräfte bindet und kaum umzusetzen ist.

Die Freien Demokraten wollen hier dringend Abhilfe schaffen. Die Menschen sollen die EU nicht mit Verboten und bürokratischem Selbstzweck verbinden, sondern mit einfachen, schnellen und für jeden nachvollziehbare Problemlösungen. Deswegen setzen wir uns für einen EU-Mittelstandskommissar ein, der sich um faire Wettbewerbsbedingungen für kleine und mittlere Unternehmen sowie um Reduzierung der Bürokratie kümmert. Künftige Gesetzgebungsverfahren sollen von ihm hinsichtlich möglicher Auswirkungen auf den Mittelstand vorab geprüft werden. Die Definition von KMU soll modernisiert und an die Lebensrealität angepasst werden. Außerdem benötigen wir einen „Bureaucracy Reduction Act“, denn es fehlt oft an jeglicher Transparenz, und die Kosten für die Verwaltung werden immer höher. Bessere Bedingungen für den Mittelstand schließen auch die Stärkung des freien Handels durch den Abschluss von EU-Handelsabkommen zum Beispiel mit den Mercosur-Ländern ein. Auch eine nachhaltige Finanzierung für Start-Ups und Programme zur Finanzierung innovativer Unternehmen durch privates Wagniskapital gehören dazu. Die Stimme der liberalen Parteien im Europäischen Parlament ist unverzichtbar, um diese Vorschläge im Interesse des Mittelstands durchzusetzen.

Auch eine kohärente und effektive gemeinsame europäische Entwicklungszusammenarbeit ist für mich als Entwicklungspolitiker von hoher Bedeutung.

Die EU und ihre einzelnen Mitgliedstaaten sind zusammen der weltweit größte Geber von Hilfe. 

Die Finanzierung wurde 2021 im neuen Finanzierungsinstrument NDICI zusammengefasst und vereinfacht. Dabei legt die EU großen Wert auf die Wirksamkeit der Mittelverwendung. Dazu bedarf es einer engen Kooperation mit den Partnerländern bei Planung und Umsetzung von Maßnahmen. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gestaltet die EU-Politik mit und trägt maßgeblich zu europäischen Lösungsansätzen bei. Diese internationale Zusammenarbeit wird umso bedeutsamer, je mehr es multinationale Organisationen sind, die global dafür arbeiten, Ernährung zu sichern, die Gesundheitsversorgung zu verbessern und Demokratie zu fördern.

Wir dürfen aber nicht im Status Quo verharren. Die Rolle von Entwicklungs- und Schwellenländern hat sich in den letzten Jahren dramatisch gewandelt. Sie fordern zu Recht eine Partnerschaft auf Augenhöhe ein und neigen wechselnden Allianzen zu. Für eine globale Abwendung von einer fossilen hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft sind sie ebenso entscheidend wie für die Bekämpfung der Klimakrise und die Versorgung mit Rohstoffen. Deshalb hat die EU 2021 die Initiative „Global Gateway“ ins Leben gerufen. Ziel ist eine solide wirtschaftliche Entwicklung und damit einhergehend die Stabilisierung afrikanischer Gesellschaften im Sinne guter Regierungsführung und Geschlechtergerechtigkeit. Ziel ist ebenso Krisenfestigkeit und politische Resilienz gegenüber der zunehmenden Einflussnahme von China und Russland. Nur eine Zusammenarbeit in zahlreichen Bereichen sichert europäische Interessen ebenso wie die Interessen der Partnerländer. Dabei spielen die Bereiche erneuerbare Energien – vor allem Gewinnung von Wasserstoff -, Verkehrsinfrastruktur, Bildung, Digitalisierung, Rohstoff-Lieferketten und der Aufbau von Wertschöpfungsketten vor Ort eine besondere Rolle. Deshalb fordern die Freien Demokraten, einen stärken Fokus auf Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit afrikanischen und arabischen Partnern abzuschließen. Dabei ist die deutsche Rolle wichtig: so hat das Bundeskabinett im Mai die Ratifizierung von vier EU-Handelsabkommen mit afrikanischen Ländern angestoßen.

Dabei muss die EU geschlossen auftreten, als „Team Europe“, bestehend aus den einzelnen Mitgliedstaaten, der EU als Ganzes, Durchführungsorganisationen, Banken und anderen Finanzinstituten sowie dem Privatsektor. Nur auf diese Weise können Fragmentierung und unnötige Parallelstrukturen vermieden und klare Zielstellungen verfolgt werden. Eine solche EU-Entwicklungspolitik sichert Resilienz – auf der ganzen Welt. Hierfür werden sich die Freien Demokraten mit ihren liberalen Partnern auf EU-Ebene nachdrücklich engagieren.

Hierfür brauchen wir jede Stimme. Deshalb: am 9. Juni unbedingt wählen gehen – für ein freies, zukunftsgerichtetes Europa!